ANALOGIEN JÜRGEN FERDINAND SCHLAMP OBERNZELL

Ich kann mir vorstellen, dass Sie vor diesen Bildern stehen und sich fragen, was haben diese mit dem Titel dieser Ausstellung zu tun. Der lautet nämlich „Analogien“. Und schon sind wir scheinbar fehlgeleitet, indem wir den Begriff analog dem Begriff digital entgegensetzen. So hat es der Künstler Jürgen Ferdinand Schlamp nicht gemeint. Analoge Fotografie unterscheidet sich von digitaler Fotografie durch einen technischen Unterschied bei der Aufnahme. Das Endprodukt ist identisch.

Der griechische Begriff Analogia heißt so viel wie „Entsprechung“, „Verhältnis“. Welchen Dingen aber entsprechen die Bilder, die Sie hier sehen? Zunächst einmal gar keinen, wie ich finde. Sie sind wirkliche Gegenstände, angefertigt durch den Künstler. Erst wenn wir sie betrachten, beginnt das Spiel mit der Analogie.

Wir nehmen das Bild Nr. 6 in Augenschein.

Nr.6.2016.71.5.Acr.99x121.6

Nr.6.2016.71.5.6.Acr.99×121.F28 (Leihgabe Dr. Heidi Caspari)
braun gelb ocker grau Acryl auf Leinw. 99×121 cm

 

Auf dieser Tafel wird nichts abgebildet, auch findet keine Abstraktion bekannter Gegenstände statt. Objektiv gesehen ist sie eine Realität. Auf einer weißen Fläche befinden sich zwanzig quadratisch erscheinende Figuren, von denen drei braun, drei gelb, drei ocker/rosa und 11 grau sind. Wenn man genau hinsieht, entdeckt man, dass nicht alle einer exakt quadratischen Form folgen, dass sie Einbuchtungen und Ausbuchtungen haben, mal am oberen Rand, mal am unteren Rand, was dann wieder zu Schwingungen vor allem der vier oberen Zeilen führt. Die Abstände der vier horizontalen Reihen voneinander sind gleich, unterscheiden sich aber von den Abständen der fünf vertikalen Reihen. Das dominierende Schwarz der drei mittleren Figuren der ersten Reihe weicht in der zweiten Reihe einem kräftigen Gelb und in der dritten Reihe einem vorsichtigen Ocker, schon nahe an dem dünnen Grau der 11 eine Art Tor bildenden Figuren. Schließlich weise ich noch auf das Format des Bildes hin, auf seine Größe. Stellen Sie sich das gleiche Bild auf eine um zwei Drittel verkleinerte Fläche vor. Seine Wirkung wäre erheblich anders.

Ich erinnere mich an eine Ausstellung der Werke von Francis Bacon im Münchner Haus der Kunst, wo ich überwältigt wurde von der Größe der einzelnen Bilder, die ich zuvor von nicht besonders beeindruckenden Abbildungen kannte. Damit sind wir bei der Ästhetik dieser Bilder gelandet. Ästhetik heißt nichts als Wahrnehmung, frei von Qualifizierungen. Die Wahrnehmung aber ist zunächst ein neutraler Vorgang. Das Auge eines Betrachters richtet sich willkürlich oder absichtlich auf dieses Bild und nimmt dabei je nach Blickfeld (Abstand) noch etwas von der Umgebung mit. Jetzt werden die Neuronen, d.h. die Hirnzellen tätig und empfangen einen Reiz, der die abgebildete Wirklichkeit bewertet. Das Ergebnis nennt man Wirkung. Ganz individuell empfindet der Betrachter Wohlgefallen, Ablehnung oder verfällt in eine rationale Reflexion, in Nachdenken. Erinnerungen tauchen auf, Vergleiche werden angestellt. Jetzt sind wir bei der Analogie angekommen. Nach Ludwig Wittgenstein ist »Das Bild … ein Modell der Wirklichkeit.«. Der Künstler bedient sich ihrer, um das Gehirn des Betrachters, Kritikers, Käufers, Passanten zu reizen und dessen Wahrnehmung zu aktivieren.

Analogie wird erst wirksam, wenn das Bild betrachtet wird.

Ich habe Schlamps Arbeiten seit gut 20 Jahren durch mehr als zehn Ausstellungen hindurch begleitet. Es begann mit gegenständlichen Darstellungen von griechischen Landschaften in Acryltechnik. Der gemeinsame Aufenthalt in Griechenland hat uns damals zusammengeführt.

Das Stillleben eines Blumenstücks aus Hortensien leitete dann die nächste Phase ein, als er Figuren und Strukturen isoliert hat und damit dem Betrachter den Begriff /Blume/oder konkreter /Hortensie /entzogen hat. Seine Bilder waren von da ab keine Abbildungen mehr, sondern eine Ansammlung von gegenstandslosen Figuren, die aufeinander bezogen eine andere Herangehensweise des Betrachters erforderten. Statt der Wiedererkennung des dargestellten Gegenstands wird die Wahrnehmung auf eine aufregende Weise so herausgefordert, dass sie gleichzeitig die emotionale aber auch die rationale Seite anspricht. Hinter jeder Wirklichkeit befindet sich nämlich eine Reihe von Systemen, die bei der Beobachtung wirksam sind, präzise gegen vage Elemente, Eindeutiges gegen Mehrdeutiges, Klares gegen Unklares, Spannung gegen Entspannung, Ying gegen Yang.

Diesem Prinzip unterliegen auch die Skulpturen, hier in der Form von Stelen, Schlamp spielt dabei mit verschiedenen Formen, einerseits mit Wiederholungen, rechten Winkeln, klaren benennbaren Farben, andererseits mit unsystematisch wirkender Anordnung der nicht rechtwinkligen Teile, mit schiefen Winkeln, kaum kontrastierenden, kaum benennbaren Farben.

Dazu kommt die grundsätzliche Unbestimmtheit des Aufbaus der einzelnen Stelen. Der Betrachter kann sie in ihre Bestandteile zerlegen und eine eigene Reihenfolge bestimmen, sofern die vorgegebene Grundstruktur eingehalten wird und die Statik der Skulptur es erlaubt. Er muss eigene Entscheidungen innerhalb eines vorgegebenen Rahmens treffen. Schon die Veränderung des eigenen Standpunkts und der eigenen Augenhöhe, versetzt die einzelnen Stelen in Schwingungen von waagrecht bis leicht nach oben oder unten gebogen und lässt den Betrachter die Relativität subjektiver Wahrnehmungen erkennen. Auch die zu große Bohrung der Röhren kann die einzelnen Elemente sich verschieben lassen und weist auf die insgesamt fragile Konsistenz dieser Skulpturen, wie Dr. Ortmeier richtig festgestellt hat. Wer eine weniger anspruchsvolle Sichtweise pflegt, könnte sogar an die Zuckerstangen denken, wie sie auf Jahrmärkten angeboten werden. So gesehen zeigt sich auch die Fragilität von Analogien. Wir reagieren mal mit Empfindung und Annahme, mal mit Vernunft und Wissen. Die Analogie in diesen säulenartigen Skulpturen ist nicht die Wirklichkeit selbst, sondern weist darauf hin, wie wir als Individuen die Wirklichkeit betrachten.Analogie als oszillierende Interaktion des Betrachters mit dem Bild oder Gegenstand. Der Titel eines kürzlich erschienen Buches des kanadischen Schriftstellers David Saxlautet „Die Rache des Analogen: Echte Dinge und warum sie wichtig sind.“Damit entlasse ich Sie in das vergnügliche Wechselspiel mit den Analogien anhand der Arbeiten von Jürgen Ferdinand Schlamp.

Hubert Eichheim Kounoupitsa, 15.05.2017


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