Nachdem er am Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit den Weg der Abstraktion verfolgt und die Auseinandersetzung mit dem Elementaren gesucht hatte, ist Jürgen Ferdinand Schlamp in den 1990er Jahren zum Gegenständlichen zurückgekehrt. Was manchem als Bruch erscheinen mag, ist in Wirklichkeit konsequent und im besten Sinne platonisch: Wer die Grundformen der Welt erkannt, die abstrakte Ordnung durchschaut hat, soll gemäß Platons Höhlengleichnis nämlich nicht bei diesen Formen verweilen, sondern die Umkehr antreten und sein Wissen auf die allgemein sichtbare, konkrete Welt anwenden. Er wird klarer sehen als die übrigen Menschen, schärfer, auch rücksichtsloser, ja wird dann jedes Sujet in besonderer Reinheit beschreiben und darstellen können.

Tatsächlich zeichnen sich Schlamps Bilder dadurch aus, ihre Motive beklemmend pur, gleißend genau wiederzugeben. Der Betrachter hat den Eindruck, nichts mehr stehe zwischen ihm und der jeweils gemalten Landschaft oder Architektur; entsprechend ist man Farbe, Licht und Formenspiel unmittelbar ausgesetzt. Diese ungewohnte Intensität ist freilich auch anstrengend und eine Herausforderung, wird dadurch doch der eigene Blick auf Natur in Frage gestellt. Als wüßte er genau, was er mit seinem Fundus abstrakter Bilderfahrung als gegenständlicher Künstler vermag, nennt Schlamp eines seiner neueren Bilder im übrigen sogar „Platons Vorraum“.

Und nun zeigt er seine Arbeiten erstmals in Südtirol, einer Gegend, die er seit langem gut kennt und die ihm mit ihrem besonderen Licht sowie dank ihrer großartigen Verbindung von Natur und Architektur immer wieder Anregung bot. So wird Schloß Kastelbell mit dieser Ausstellung für ein paar Wochen selbst zu Platons Vorraum, zu einem Ort, an dem sich alles etwas klarer erfahren läßt als sonst.

Prof.Dr. Wolfgang Ullrich: Vorwort zum Katalog.
Ausstellung Stadthalle Germering, 2001

 

Jürgen Ferdinand Schlamp kennt den Reflex, den seine Bilder auslösen, und er ist auch einkalkuliert. Auf den ersten Blick erwecken sie tatsächlich den Anschein, als ob man ihnen vertrauen könnte: mediterrane Landschaften, klares, leuchtendes Licht, Idyllen. Postkartenmotive könnte man darin wieder entdecken, Bilder aus Filmen oder eigene, innere Bilder. „Wenn es jemand so sehen will“, sagt Schlamp, „dann soll er es sehen.“

Denn es ist genau dieser erste Blick, mit dem er ein raffiniertes Spiel treibt und der das Thema seiner Bilder ist: die Frage, nach welchen Mustern wir die sichtbare Welt wahrnehmen, welche Zeichen dabei eine Rolle spielen und wie Wahrnehmung überhaupt strukturiert ist.

Dazu hat Schlamp vermeintlich vertraute Bildelemente wie Landschaftshintergrund, Bäume oder die Lichtreflexe auf einer Steintreppe teilweise so verändert, dass sie den Betrachter verunsichern können. „Mir geht es nicht um Illusionismus“, sagt der Künstler. Was ihn interessiert, sind die Spannungen, die er mithilfe von Kontrasten in seinen Bildern aufbaut. Zum Beispiel in „Nähe und Ferne“ von 1995, wo die homogen blauen Flächen des nüchternen, kalten Hintergrunds einem Vordergrund gegenüberstehen, den Schlamp reichlich emotionalisiert hat: mit leuchtenden Farben, Rot, Lila, Orange, Rosa und Gelb, und bewegten Pinselstrichen. Kälte und Wärme, Vertrautheit und Bedrohung sind die Assoziationen, die sich einstellen.

Markus Zehentbauer: Auf den zweiten Blick – Werke von Jürgen Ferdinand Schlamp in der Stadthalle Germering, 2002


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